Identische Teilchen: Beispiel eines Stolpersteins für die Anschauung

Notiz zur Vorlesung Kern- und Elementarteilchenphysik - J. Bleck-Neuhaus)

 

 

Abstract:

Zwei identische Fermionen, präpariert in bestimmten 1-Teilchen-Zuständen, bilden einen wohldefinierten 2-Teilchen-Zustand. Bevor eine Wechselwirkung die Besetzung der ursprünglichen 1-Teilchen-Zustände geändert haben kann, wird gemessen, in welchen 1-Teilchen-Zuständen sich die Teilchen wiederfinden lassen.

Ergebnis: sucht man ein Teilchen in einem der beiden ursprünglichen Zustände, so findet man "mit 100%iger Sicherheit" genau 1 Teilchen: die Besetzungszahl hat den Eigenwert 1. Dies gilt aber auch für jeden anderen Zustand, der durch Linearkombination aus diesen beiden 1-Teilchen-Zuständen gebildet werden kann (und ein zweites Teilchen findet man dann ebenso sicher im dazu orthogonalen Zustand) -

- "als ob die Elektronen in den ursprünglichen Zuständen sich (für die bevorstehende Messung) zerteilt und neu zusammengesetzt hätten".

 

 

Kurzfassung:

Mehrere identische Teilchen, jedes in einem bestimmten (1-Teilchen-)Zustand, kann man zu einem Mehr-Teilchen-System zusammenfassen. Dann darf man bekanntlich nicht mehr davon sprechen, welches von ihnen sich in welchem der beteiligten 1-Teilchen-Zustände befindet : die Teilchen sind ja vollkommen identisch (und damit ununterscheidbar: physikalisch und logisch).

Handelt es sich dabei nun um Fermionen, dann verliert auch noch die Angabe der ursprünglich beteiligten 1-Teilchen-Zustände ihren eindeutigen Sinn: in jedem beliebigen Superpositionszustand von ihnen würde man immer genau 1 Teilchen antreffen.

Beispiel: Hat man die (orthogonalen) 1-Teilchen-Zustände  |1>   bzw. |2>  mit je 1 Fermion besetzt, und betrachtet das ganze als 2-Teilchensystem, dann kann man aus jedem beliebig gewählten (normierten) Überlagerungszustand  
     |ψ>  =    α|1>   +  β|2>  
stets genau ein Teilchen wieder herausholen: Die Messung der "Teilchenzahl im Zustand |ψ>" hätte als Messergebnis den Eigenwert 1.


(Genau ein zweites Teilchen findet man dann im orthogonalen Zustand  
     |ψ'>  =   -β* |1>   +  α* |2> ).

 

>>> (möglicher) Stolperstein <<<
beim Versuch, dies für die Anschauung auszudrücken:

Da scheint es, als ob die beiden Fermionen, die in die Zustände  |1>   bzw.   |2>  hineingegeben worden waren, sich für das Experiment im Verhältnis |α|²/|β|²     in Bruchstücke zerlegt und über Kreuz neu zusammengesetzt hätten, wobei auch noch die "neu entstandenen" Teilchen zu den ursprünglichen Teilchen immer exakt identisch sind.

 

 

Schrittweise:

Vorbemerkung 1:

Bei einem 1-Teilchen-System kann man immer genau angeben, in welchem Zustand sich das Teilchen befindet.

Im Experiment kann man diesen Zustand identifizieren, denn nur in ihm würde man das Teilchen mit Wahrscheinlichkeit P=1 finden, in jedem anderen Zustand mit P<1 (in einem orthogonalen Zustand gar nicht: P=0 ).

 

Vorbemerkung 2:

Ein 2-Teilchen-System aus unterschiedlichen Teilchen kann man so präparieren, dass für Teilchen 1 feststeht, in welchem 1-Teilchen-Zustand es sich befindet, und für Teilchen 2 unabhängig davon ebenso. (Ein "unverschränkter" oder Produkt-Zustand.)

Beispiel: H-Atom im starken Magnetfeld, wo die (vier) Energie-Eigenzustände so sind, dass die Spins des Elektrons und des Protons sich unabhängig voneinander mit    m1,2 = ± ½    ausrichten. (Z.B. gibt es zwei Zustände mit   mgesamt=m1+ m2=0.)

Im Experiment kann man die beiden besetzten 1-Teilchen-Zustände einzeln identifizieren, denn nur in diesen würde man das betreffende Teilchen mit der Wahrscheinlichkeit   P1 =1   bzw.   P2 = 1   antreffen. In jedem anderen ihrer 1-Teilchen-Zustände würde man die Teilchen mit Wahrscheinlichkeiten   P1<1   bzw.   P2<1   finden, und zwar statistisch unabhängig voneinander (also auch mal nur eins von beiden oder gar keins). (im Beispiel etwa: wenn nach der Spin-Ausrichtung in x- oder y-Richtung gefragt wird.)

Lässt man die innere Wechselwirkung zwischen Elektron- und Proton-Spin wirksam werden, z.B. durch Herunterfahren des Magnetfelds, dann beginnen sich die beiden ursprünglich unverschränkten Zustände mit m1+ m2=0 zu überlagern und erzeugen schließlich die maximal verschränkten Zustände zum Gesamtspin 0 bzw. 1 (mgesamt=0) .

 

Vorbemerkung 3:

Präpariert man nun ein 2-Teilchen-System aus zwei identischen Fermionen in zwei (orthogonalen) 1-Teilchenzuständen  |1>  und  |2>    :

Beispiel: in z-Richtung polarisiertes He-Ion mit   m=+½   fängt ein Elektron mit   m= - ½   ein und bildet den He-Grundzustand.

Dann ist gut bekannt, dass man natürlich nicht mehr sagen kann, welches der Teilchen sich in welchem der beiden Ausgangszustände befindet: sie sind ja identisch.  Aber weiter:

 

"Stolperstein":

  ... Es ist aber auch ganz unmöglich wieder herauszufinden, welches die beiden 1-Teilchenzustände waren, in die denen die 2 Fermionen präpariert worden waren: jedes (orthogonale) Paar von Superpositionszuständen könnte es gewesen sein.

Fragt das Experiment nach der Besetzung der beiden Ausgangszustände, würde man genau 1 Teilchen mit Wahrscheinlichkeit   P = 1   in jedem von ihnen finden. Aber eben auch in jedem beliebigen anderen Zustand aus dem 2-dimensionalen Zustandsraum, der von ihnen aufgespannt ist.

  • Test im He-Beispiel:
    • wieviel Elektronen haben Spin in (+x)-Richtung?
    • Experiment      : einrichten für  |ψ>  =   (|1> + |2> ) / √2
    • Messergebnis : Besetzungszahl =1 (Eigenwert)

Messergebnisse für die beiden Teilchen sind nun auch statistisch abhängig: hat man eins gefunden, muss das andere mit  P=1  im dazu orthogonalen Zustand sein.

  • im He-Beispiel hat das andere Elektron dann den Spin in (–x) -Richtung

Wollte man in irgendeiner Form anschaulich ausdrücken, wie die zwei in die Zustände  |1>   und   |2>   hineingegebenen Elektronen nun ein Elektron im Zustand einer Linearkombination von  |1>  und  |2>  gebildet haben (und ein anderes im dazu orthogonalen Zustand) ,

  • im He-Beispiel die Zustände   ( |1> ± |2>) / √2

dann müsste man vielleicht von „Elektronenhälften“ reden: jedes Elektron hätte sich im Verhältnis 50:50 aufgeteilt, und die Teile hätten sich über Kreuz zusammengesetzt, so dass wieder „ganze Elektronen“ herausgekommen wären.

 

Formale Grundlage

Ein Zustand von n Fermionen ist antisymmetrisch gegenüber Teilchenvertauschung. Ist er aus n bestimmten 1-Teilchenzuständen aufgebaut, handelt es sich um die Determinante aus diesen n Stück 1-Teilchen-Zustandsvektoren (Slater-Determinante). Jede Determinante bleibt bei der Bildung von Linearkombinationen ihrer Spalten-Vektoren die gleiche, und ist damit auch gegenüber deren orthogonalen Transformationen invariant.

 

Fazit

  • Anders als in n-Teilchen-Systemen der klassischen Physik (und in der alltäglichen Anschauung), sind in quantenmechanischen n-Teilchen-Systemen die Zustände der einzelnen Teilchen nur dann eindeutige Größen, wenn die Teilchen
    1. nicht identische Teilchen sind und
    2. sie in definierten 1-Teilchen-Zuständen präpariert wurden.
       
  • Besteht aber ein so präpariertes  System aus identischen Fermionen, dann lässt allein die Forderung nach <Antisymmetrie bei Teilchenvertauschung> schon die Identität der ursprünglichen 1-Teilchen-Zustände verschwinden: jede Basis des von ihnen aufgespannten Hilbertraums ist gleichermaßen möglich, d.h. erst der ganze von ihnen aufgespannte Hilbertraum beschreibt den Zustand des n-Fermionen-Systems richtig.
     
  • Ein solcher aus bestimmten 1-Teilchen-Zuständen gebildeter n-Fermionen-Zustand gehört noch zur einfachsten Klasse von n-Teilchen-Zuständen, den "unverschränkten". In der Atomphysik würde er eine "reine Konfiguration" genannt.
     
  • Wegen der Kräfte zwischen den Teilchen sind aber die wirklichen Eigenzustände fast immer Linearkombinationen davon, die sich nicht mehr als Slater-Determinante schreiben lassen, auch mit geänderten Basis-Zuständen nicht (Verschränkung bzw. Konfigurations-Mischung).
     
  • Bei Systemen verschiedener Teilchen kommt solche Konfigurations-Mischung nur vor, wenn nach der Präparation aus wohldefinierten 1-Teilchen-Zuständen Übergänge in andere Kombinationen von 1-Teilchen-Zuständen hervorgerufen werden, die sich dem Anfangszustand überlagern (Prozess der Verschränkung). Häufig sind aufgrund von inneren Wechselwirkungen die Energie-Eigenzustände vom verschränkten Typ.
     
  • Identische Bosonen zeigen ähnliches Verhalten: hat man 2 in definierten 1-Teilchen-Zuständen präpariert, kann aus diesem Gesamtzustand heraus mit Sicherheit 1 Boson in jedem beliebigen 1-Teilchen-Zustand vernichtet (z.B. absorbiert) werden, der eine Überlagerung der ursprünglichen Zustände ist. Danach liegt dann auch der Zustand des übrig gebliebenen Bosons fest - ebenfalls eine Überlagerung der ursprünglichen Zustände (aber nicht die orthogonale).

 

(06.06.2005 - J. Bleck-Neuhaus)