Strahlungsantrieb (radiative forcing)

Wie wir schon gesehen haben, spielt (elektromagnetische) Strahlung eine wichtige Rolle beim Klimawandel. Eine gestörte Strahlungsbilanz (z.B. am oberen Rand der Atmosphäre) wirkt wie eine Kraft, welche eine Veränderung in Gang setzt. Wenn die Strahlungsbilanz nicht ausgeglichen ist, also zum Beispiel mehr Energie der Erde zugeführt als wieder abgestrahlt wird, dann führt dies zu einer Erwärmung und weiteren Folgen.

Dabei werden die Veränderungen so ablaufen, dass das System Erde auf einen neuen Gleichgewichtszustand (mit einer neuen Gleichgewichtstemperatur) zuläuft. Der Gleichgewichtszustand ist dann erreicht, wenn die Strahlungsbilanz wieder ausgeglichen ist, die abgeführte Energie im Mittel also wieder genau so groß ist die zugeführte Energie, also die Nettoenergiezufuhr Null ist.

Solch eine Störung der Strahlungsbilanz bezeichnet man auch als Strahlungsantrieb (radiative forcing) und Strahlungsantrieb ist daher eine sehr wichtige Größe in der Klimaforschung. Sie dient z.B. dazu die relative Bedeutung verschiedener Effekte zu beurteilen bzw. quantifizieren.

Am Ende ist man natürlich meist nicht primär an einer so abstrakt erscheinenden Größe wie dem Strahlungsantrieb interessiert, sondern an Auswirkungen, die wir direkt spüren können, wie zum Beispiel Auswirkungen auf die Temperatur und auf den Meeresspiegelanstieg. Dieses sind jedoch meist nur schwer bzw. nur ungenau abzuschätzende Folgen der "verursachenden Kraft" Strahlungsantrieb.

Abbildung 33 zeigt eine Übersicht über den Strahlungsantrieb verschiedener Komponenten des Klimasystems seit Beginn der Industrialisierung. Wie man sieht, resultiert der größte Beitrag zum positiven Strahlungsantrieb (Erwärmung) aus dem CO2-Anstieg, gefolgt vom Treibhausgas Methan. Einige Komponenten zeigen negative Werte des Strahlungsantriebs, insbesondere Aerosole. Zunehmende Mengen von bestimmten Arten von Aerosolen haben einen abkühlenden Effekt durch Abschwächung der solaren Einstrahlung mittels vermehrter Rückstreuung (Reflektion) von Sonnenlicht in den Weltraum.

Strahlungsantrieb.

Abbildung 33: Strahlungsantrieb verschiedener Komponenten des Klimasystems seit Beginn der Industrialisierung. Quelle: IPCC AR6 WG1 Kapitel 7, Abb. 7.6.

Die Konzentration von Wasserdampf in den unteren Kilometern der Atmosphäre (der sogenannten Troposphäre) ist typischerweise viel höher als in der relativ trockenen Stratosphäre. Es mag daher verwundern, dass in Abbildung 33 Wasserdampf nur in der Kategorie "Stratosphärischer Wasserdampf" aufgeführt ist, obwohl die troposphärischen Konzentrationen viel größer sind und Wasserdampf ein starkes Treibhausgas ist.

Der Grund hierfür iegt darin, dass wir die Konzentration von Wasserdampf in der Atmosphäre – im Gegensatz zu (zum Beispiel) CO2 - nicht beliebig erhöhen können. Bei gegebener Temperatur kann die Atmosphäre nur eine bestimmte Menge Wasserdampf enthalten. Ein möglicher Überschuss fällt zum Beispiel als Regen einfach wieder aus der Atmosphäre heraus.

Wenn es wärmer wird, kann mehr Wasser verdunsten und die Atmosphäre kann mehr Wasserdampf enthalten - und dies kann den Treibhauseffekt verstärken. Aufgrund dieser Effekte wird Wasserdampf nicht in der Kategorie anthropogener Strahlungsantrieb (radiative forcing) behandelt bzw. aufgelistet, sondern in den Kategorien klimarelevante Antwort (response) bzw. klimarelevante Rückkopplungen (feedbacks) (Näheres hierzu siehe Abschnitt 7.2).

Abbildung 33 verdeutlicht die Komplexität des Klimasystems und was bei dessen Verständnis zu berücksichtigen ist. Das Klimaproblem ist im Wesentlichen – aber eben nicht nur – ein mit CO2 verbundenes Problem.

Weniger Abstrakt ist es, wenn man anstelle des Strahlungsantriebs die entsprechenden Temperaturen betrachtet und diese sind in Abbildung 34 angegeben. Die Umrechnung von Strahlungsantrieb in eine entsprechende Temperaturänderung ist jedoch nicht trivial, und zwar aufgrund der vielen Wechselwirkungen, welche hierbei berücksichtigt werden müssen, einschließlich komplexer Rückkopplungsprozesse, die sich weiter erwärmend (verstärkend) aber auch abkühlend (abschwächend) auswirken können (Näheres hierzu siehe Kapitel 7.2).

Temperatur entsprechend Strahlungsantrieb.

Abbildung 34: Simulierte Temperaturänderungen verschiedener Komponenten des Klimasystems seit Beginn der Industrialisierung. Quelle: IPCC AR6 WG1 Kapitel 7, Abb. 7.7.

Abbildung 35 ist eine weitere Darstellung der relativen (und absoluten) Beiträge verschiedener Treibhausgase zum anthropogenen Treibhauseffekt. Explizit angegeben sind die entsprechenden Prozentzahlen. Hiernach trägt im Jahre 2020 CO2 mit 66,1% zur Erwärmung durch die langlebigen Treibhausgase seit Beginn der Industrialisierung bei und Methan mit 16,4%.

Man liest oft, dass Methan eine viel größere Klimawirkung hat als CO2. Solche Aussagen basieren auf dem sogenannten "Global Warming Potential" (GWP).

Das GWP eines Gases gibt an, wie stark die Treibhausgaswirkung dieses Gases ist Vergleich zur gleichen Menge CO22 (das GWP von CO2 ist also immer 1). Mit Menge meint man hier nicht die Anzahl der Moleküle, sondern das Gewicht bzw. die Masse (das GWP ist also "pro Kilogramm").

Hierbei wird auch ein sogenannter Zeithorizont angegeben, typischerweise 20 Jahre und/oder 100 Jahre. Das ist wichtig, um die typische "Lebensdauer" eines Gases zu berücksichtigen.

So ist das GWP für Methan etwa 84 bei einem Zeithorizont von 20 Jahren und etwa 28 bei einem Zeithorizont von 100 Jahren. Dies bedeutet, dass die Emission von 1 kg Methan nach 20 Jahren zur einer ähnlichen Erwärmung führt, wie die Emission von 84 kg CO2. Nach 100 Jahre reduziert sich dies auf 28 kg CO2. Der Grund für die Abnahme der Bedeutung von Methan relativ zu CO2 bei längerem Zeithorizonten ist, dass Methan in der Atmosphäre chemisch zu anderen Stoffen reagiert und damit (und aus anderen Gründen) im Vergleich zu CO2 relative schnell aus der Atmosphäre wieder entfernt wird (die Lebensdauer von Methan liegt bei etwa 9 Jahren, wohingegen die Lebensdauer von CO2 ein Vielfaches davon beträgt).

Die hohen Werte des GWP für Methan sagen nichts über die Bedeutung des Methans für seinen derzeitigen Beitrag zur Erderwärmung aus, da das GWP sich auf die Menge bezieht. Die Konzentration von Methan liegt derzeit jedoch bei etwas weniger als 2 ppm wohingegen die Konzentration von CO2 die 400 ppm Marke bereits überschritten hat. Es gibt also 200 Mal mehr CO2-Moleküle als Methan-Moleküle.

Dies illustriert noch einmal die Bedeutung des Strahlungsantriebs beim Vergleich der Bedeutung verschiedener Treibhausgase, da hier alle Effekt berücksichtigt sind, einschließlich der relevanten Mengenverhältnisse.

Anteile Treibhausgase.

Abbildung 35: Beiträge zum anthropogenen Treibhauseffekt durch CO2 und andere langlebige Treibhausgase für das Jahr 2020. Der Gesamteffekt ist hier mit 3,141 W/m2 angegeben und die Anteile der drei dominierenden Treibhausgase CO2 mit 66,1%, Methan mit 16,4% und Lachgas (N2O) 6,4%. Quelle: Umweltbundesamt (https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/5_abb_beitrag-treibhauseffekt-co2-thg_2021-05-26.pdf).

Um den Zusammenhang von Strahlungsantrieb und Temperaturänderung etwas näher zu erläutern, wollen wir nachfolgend diese beiden Fragen beantworten:

Wir nehmen hier an, dass CO2 nur im langwelligen thermischen Spektralbereich Strahlung (also die Wärmestrahlung) absorbiert. Das ist hier eine brauchbare Näherung. Es ist jedoch nur eine Näherung, den CO2 absorbiert auch im kurzwelligeren solaren Bereich Strahlung (hierauf basieren z.B. die in diesem Handbuch gezeigten CO2-Satellitenmessungen). Diese Absorption ist jedoch viel schwächer als im thermischen Bereich, wie in Abbildung 19 zu sehen ist.

Die erste Frage kann mittels Abbildung 36 beantwortet. Das in Hellgrün dargestellte Spektrum entspricht einer vorindustriellen CO2-Konzentration von 280 ppm. Die tiefe Delle im Bereich um 15 µm entsteht durch Absorption der vom Erdboden kommenden Wärmestrahlung durch atmosphärisches CO2. Genau in diesem Spektralbereich ändert sich das Spektrum am stärksten, wenn man die CO2-Konzentration ändert (dunkelgrünes Spektrum). Aufgrund der CO2-Verdopplung wird in diesem Beispiel die ausgehende Wärmestrahlung um 3,3 (= 300,2 - 296,9) W/m2 erniedrigt. Dies entspricht einer Netto-Energiezufuhr für die Erde und das System Erde reagiert daraufhin (u.a.) mit einer Temperaturerhöhung. Für das hier gezeigte Beispiel ist der Strahlungsantrieb, der einer CO2-Verdopplung entspricht, die bereits erwähnten 3,3 W/m2.

Da wir diesen Wert hier nur für einen speziellen Fall ausrechnet haben, entspricht die hier erhaltene Zahl nicht einem globalen Mittelwert. Genauere Berechnungen ergeben einen Wert von etwa 3,7 W/m2 (Myhre et al., 2017), was recht nah an dem von uns berechneten Wert liegt.

Temperatur entsprechend Strahlungsantrieb.

Abbildung 36: Oben: Strahlungs-Spektren im Spektralbereich 5 - 25 µm. Spektren der ins Weltall abgestrahlten Wärmestrahlung berechnet unter der Annahme einer tropischen Atmosphäre mit einer CO2-Konzentration von 280 ppm (Hellgrün, gesamte Strahlungsleistung 300,2 W/m2) und 560 ppm (Dunkelgrün, 296,9 W/m2). Im Hintergrund sind ergänzend Planck-Spektren (glatte Kurven) für verschiedene Temperaturen im Bereich 220 - 300 K dargestellt. Unten: Differenz der beiden Strahlungsspektren. Quelle der MODTRAN-Berechnungen: (http://climatemodels.uchicago.edu/modtran/).

Um wieviel erhöht sich die Temperatur, wenn sich die CO2-Konzentration verdoppelt? Die ist in Abbildung 37 erläutert (nach Houghton, 2004 (Seite 24)).

Wir beschreiben diese Grafik von links nach rechts: Unter vorindustriellen Bedingungen war die mittlere Temperatur der Erde etwa 15 Grad Celsius. Die Energiezufuhr durch die Sonneneinstrahlung (S) betrug 240 W/m2. Es herrschte im Mittel ein Gleichgewichtszustand, da die abgestrahlten langwellige (L) Wärmestrahlung ebenfalls 240 W/m2 betrug. Wenn sich nun die CO2-Konzentration verdoppelt und nichts anderes passieren würde, dann wäre der wesentliche Effekt eine Reduzierung der Ausstrahlung durch die vermehrte CO2-Absorption und zwar in diesem Beispiel 4 W/m2 (gerundet entspricht dies dem bereits erwähnten Strahungsantrieb von 3,7 W/m2 bei CO2-Verdopplung (Myhre et al., 2017)). Dies entspricht einer Netto-Energiezufuhr von 4 W/m2, welche zu einer Erwärmung führt. Bei einer Erwärmung um 1,2 Grad ist die Energiebilanz am oberen Rand der Atmosphäre wieder hergestellt (siehe hierzu auch Schönwiese, 2020 (Seiten 84-85) und Cess et al., 1990).

Ohne Rückkopplungen (feedbacks) entspricht einem Strahlungsantrieb von 3,7 W/m2 eine Temperaturerhöhung von etwa 1,2 Grad. Entsprechend ergeben sich 3,1 W/m2 pro Grad Celsius (oder 3,1 W/m2/K bzw. W/m2/oC). Ohne Rückkopplungen kann man also den Strahlungssantrieb in W/m2 aufgrund einer CO2-änderung grob gesagt einfach durch 3 (oder etwas genauer durch 3,1) teilen, um eine Schätzung der entsprechenden Temperaturänderung in Kelvin oder Grad Celsius zu erhalten. Allerdings ist das Klimasystem Erde komplizierter, den die Erde reagiert mit einer Reihe weiteren Veränderungen, nämlich u.a. mit einer komplexen Mischung aus verstärkenden aber auch abschwächenden Rückkopplungen (feedbacks). Man schätzt, dass die resultierende Temperatur bei einer CO2-Verdopplung nahe 3 Grad liegt (IPCC WP1 AR6 SPM). Mit Rückkopplungen entspricht einem Strahlungssantrieb von 3,7 W/m2 aufgrund einer CO2-änderung also eine Temperaturerhöhung von 3 Grad. Es ergibt sich also 1,2 W/m2/Grad. Die numerischen Werte für Stahlungsantrieb in W/m2 und Temperaturerhöhung in Grad Celsius (oder Kelvin) sind hier also fast identisch. Diese Schätzung von 3 Grad bei einer CO2-Verdopplung ist jedoch mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. Man schätzte bisher, dass die Temperatur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (nämlich von etwa 66%) im Bereich 1,5 - 4,5 Grad liegt (Houghton, 2004; IPCC AR5 WG1 SPM; Schönwiese, 2020 (Seiten 84-85)). Entsprechend den aktuellsten Berechnungen (IPCC AR6 WG1 SPM) liegt der wahrscheinlichste Wert immer noch bei 3 Grad, der Unsicherheitsbereich wird jedoch nun mit 2,5 - 4 Grad ("AR6 likely range") angegeben anstatt bisher mit 1,5 – 4,5 Grad ("AR5 likely range"), wie beim vorherigen Bericht (IPCC AR5 WG1 SPM). Diese Erläuterungen zeigen bereits, welche Bedeutung die Rückkopplungen (feedbacks) haben. Weitere Erläuterungen zu diesem Thema sind in Kapitel 7.2 zusammengestellt.

Klimasensitivitaet.

Abbildung 37: Temperaturänderung bei CO2-Verdopplung. Quelle: Houghton, 2004.

Klimasensitivitaet.

Abbildung 38: Eine einfache Formel zur Berechnung des Strahlungsantriebs von CO2, hier als ΔF bezeichnet. In die oben links angegebene Formel ist noch die CO2-Konzentration in ppm einzusetzen. Für die vorindustrielle CO2-Konzentration von 280 ppm ergibt sich, wie es sein muss, ΔF = 0. Setzt man die doppelte CO2-Konzentration von 560 ppm ein, so ergibt sich 3,7 W/m2. Wie man sieht, hängt der Strahlungsantrieb logarithmisch von der Konzentration ab. Das bedeutet: Wenn sich die CO2-Konzentration verdoppelt, dann entspricht dies (nicht einer Verdopplung von F, sondern) einer Vergrößerung des Strahlungsantriebs F, also der zugeführten Netto-Energie pro Zeiteinheit, um einen festen Betrag. Quelle: Myhre et al., 2017.


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